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Rundbrief Januar 2012

Und ich hoffe, dass ich Unrecht hatte

Margarethe Randow-Tesch

Von dem Literaturnobelpreisträger 2011 Tomas Tranströmer stammt die interessante und, wie ich finde, kursrelevante Gedichtzeile: »Wir sehen fast glücklich aus in der Sonne, während wir verbluten aus Wunden, von denen wir nicht mehr wissen « (alle Zitate aus: Sämtliche Gedichte, Hanser Verlag, S. 208).

Der Kurs lehrt nicht nur, dass die Welt ein grandioses Täuschungsmanöver ist, weil sie ein Glücksversprechen vorgaukelt, das sie nicht einlösen kann. Er lehrt auch, dass die Welt das äußere Bild eines inneren Zustands ist. Was sagt das über den inneren Zustand? Offenbar haben wir es mit einer Gespaltenheit gigantischen Ausmaßes zu tun. Wenn wir die Welt wie ein aufgeschlagenes Buch lesen, zeigt sie in ihren Bildern – unseren kollektiven und privaten Situationen und Beziehungen – die unbewusste Wunde all derer, die an ihr teilnehmen: den tief vergrabenen Glauben an Schuld und getrennte Interessen. Der Kurs lehrt, dass dieser desolate Zustand Folge eines Irrtums ist, »so riesig und völlig unglaubwürdig, dass aus ihm eine Welt der totalen Unwirklichkeit hervorgehen musste« (T-18.I.5:3). Das ist die Welt des verlorenen Lächelns, in der wir leben und die wir extrem ernst nehmen. Sie symbolisiert in ihren sämtlichen Aspekten den Verrat an der Liebe: die Entscheidung, Unschuld und Liebe gegen ein scheinbar verheißungsvolleres Selbst der Getrenntheit und Besonderheit einzutauschen.

Die mit dem Glauben an den Selbst-Verrat einhergehende Schuld ist so unerträglich, dass, wäre dies die Wahrheit und kein Irrtum (oder auch Traum), es kein Ende des Selbsthasses geben könnte. Tomas Tranströmer hat die Wirkungen, wie wir sie in der Welt erleben, mit einem treffenden Bild beschrieben: »An jedem [Menschen] acht Gesichter, poliert wie Jade, für alle Situationen, um Irrtümer zu vermeiden./An jedem auch das unsichtbare Gesicht. Es spiegelt „etwas, worüber man nicht spricht“./Etwas, das in müden Stunden auftaucht und herb ist wie Schluck Kreuzotterschnaps mit dem langen schuppigen Nachgeschmack« (S.207).

Angesichts dieses Elends, das wir für wahr halten und versuchen, vor uns zu verbergen, heißt es im Kurs geduldig und freundlich: »Wäre es unter diesen Umständen nicht wünschenswerter, dich geirrt zu haben, ganz abgesehen von der Tatsache, dass du dich geirrt hast?« (T-13.IV.3:1). Diese Aussage zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Kurs und wird unter dem Begriff Sühne zusammengefasst. Sühne ist ein Prozess der Neubewertung von Illusionen, nicht streng und kritisierend, sondern ruhig und ganz sanft.

Aber sie stößt nicht nur auf pure Begeisterung, sondern verstärkt zunächst den inneren Konflikt. Die Loyalität gegenüber dem Ego und dem Wunsch, seinen Traum der Besonderheit weiterzuträumen und doch noch das Glücksrezept zu finden, ringt mit der Sehnsucht, das falsche Denksystem zu verlassen und die Unschuld und Liebe wiederzufinden.

Im Kurs heißt es über diesen Prozess – und es ist ein Prozess: »Ein wahnsinniges Glaubenssystem kannst du nicht von innerhalb dieses Systems bewerten … Du kannst nur darüber hinausgehen und von einem Ort, wo geistige Gesundheit herrscht, zurückblicken und den Kontrast sehen. Nur durch diesen Kontrast kann der Wahnsinn als wahnsinnig beurteilt werden« (T-9.VII.6:1,3-4).

Dieser Ort, wo geistige Gesundheit herrscht, ist die andere Seite unserer Gespaltenheit, die Erinnerung an die tiefe Ruhe der Wahrheit, die im Kurs von Jesus oder dem Heiligen Geist symbolisiert wird. Wir werden gebeten, mit ihnen als Lehrer unser irrtümliches Denken, wie es sich in unserem Leben zeigt, zu betrachten und dessen Wert ganz ruhig neu zu beurteilen. Das Ego ist ein Pleitier, der mit falschen Renditen lockt, um ein gerade aktuelles Bild zu verwenden. Ist das erkannt, haben wir eine Motivation, ihm die Investition zu entziehen. Es ist eine Phase, die jeder durchschreiten muss, und die meisten erleben sie nicht als einfach. Der Kurs verwendet dafür das Bild einer Brücke, die wir zwischen Illusion und Wahrheit überqueren: »Im Übergang gibt es eine Phase der Verwirrung, in der ein Gefühl tatsächlicher Desorientierung auftreten kann. Fürchte dich aber nicht davor, denn es bedeutet nur, dass du gewillt warst, den verzerrten Bezugsrahmen loszulassen, der deine Welt zusammenzuhalten schien« (T-16.VI.7:4-5).

Dieser verzerrte Bezugsrahmen ist der unbewusste Selbsthass, der den Traum von unserem besonderen Selbst in Gang hält und den wir auf andere projizieren, die wir in unserer verzerrten Sicht zu Rettern oder Tätern machen.

Projektionen sind der Versuch, etwas, was als wahr, aber unerträglich beurteilt wird, wegzuschieben und gegen etwas Besseres einzutauschen. Doch genau auf diese Weise wird es wahr gemacht und bleibt. Wahrnehmung wird durch Projektion erzeugt, heißt es im Kurs. Ausnahmslos. Ohne das Bedürfnis, etwas projizieren zu müssen, würde es nicht einmal so etwas wie Wahrnehmung geben. Das lehrt der Kurs auf der tiefsten Ebene. Projektion ist der scheinbare Ausweg aus dem Leiden, der sich innerhalb des Systems bietet. Leider macht sie niemanden unschuldig und deshalb auch nicht froh.

Wenn dieser Bezugsrahmen aufgrund unserer eigenen Ehrlichkeit ins Wanken gerät, gerät auch unser Traum, wie wir ihn uns gebaut haben, ins Wanken. Dann kommt der Widerstand. Alle unsere Entscheidungen waren darauf gegründet, einem besonderen Selbst zu dienen und es glücklich zu machen. Alle Urteile und Pläne dienten dazu, es zu schützen und zu verstecken. Was nun?

Im Kurs wird nicht von uns verlangt, unsere Beziehungen/Rollen/Vorlieben etc. aufzugeben. Es geht darum den Gebrauch aufzugeben, den wir von ihnen machen und der darin besteht, das Ego zu schützen. Dieser Prozess wird in den »Entscheidungsregeln« im 30. Kapitel exemplarisch anhand eines Tages dargestellt. »Und ich hoffe deshalb, dass ich Unrecht hatte« ist ein entscheidender Türöffner, eine Haltung wahrer Demut und Weisheit. Sie macht den Weg frei für das Vertrauen zu einer Unschuld, die größer ist als wir und die uns in dem Neubewertungsprozess zur Seite steht, sodass unsere »kindischen Ängste und Schrecken« (T-29.IX.10:2) dahinschmelzen können. Dieses »gegenwärtige Vertrauen in ihn ist die Abwehr [Schutz], die eine ungestörte Zukunft verspricht« (Ü-I.135.19).

Der Kurs lehrt uns, dass die Entscheidung, aus dem Egosystem hinauszugehen, die einzige wirkliche Freiheit in dieser chaotischen Welt ist: Wir können nur bedingt die äußeren Umstände beeinflussen, aber wir können üben, die Dinge anders – von außerhalb des Systems – zu betrachten. Im Gedicht »Der halbfertige Himmel« sagt Tranströmer: »Die Mutlosigkeit unterbricht ihren Lauf./ Die Angst unterbricht ihren Lauf./ Der Geier unterbricht seinen Flug./… Jeder Mensch eine halboffene Tür/die in ein Zimmer für alle führt« (S.73).

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